Essayistischer Blog darüber, wo ich herkomme, über meine Ausreise 1989, wieso ich jetzt wieder in Ostdeutschland bin und trotzdem nicht mehr in dem Land, in dem ich geboren wurde.
Anmerkung der Autorin EVA BEA: Ich schaffe dieses sehr persönliche, sehr komplexe Essay nur zu veröffentlichen, weil ich mir die Freiheit zu stehe, es jeder Zeit mit neuen Erkenntnissen zu überarbeiten. Sonst könnte ich nicht auf „veröffentlichen“ klicken. Geschichte ist ein Prozess. Die Erinnerung an Geschichte ist ein Prozess. Ich stehe mir zu, Fehler zu machen und freue mich, wenn du mir schreibst, wenn du einen Fehler im faktischen Teils des Textes findest.
Ich bin mittlerweile so alt, dass meine Geburt historisch ist: Ich bin in der DDR geboren, in der deutschen demokratischen Republik, die zwischen 1949 und 1990 bestand. Und ich gehöre zu den Menschen, die 1989 ausgereist sind aus der DDR. Aber ganz von vorne.
1. Im Tal der Ahnungslosen geboren
Ich komme aus einem Land, das es nicht mehr gibt.
„Die DDR hat es nie gegeben“ hieß mal ein Graffiti in Berlin. Manchmal fühle ich mich so, wenn ich in einem Formular mein Geburtsland ausfüllen soll und erwartet wird, dass ich „Deutschland“ hinschreibe.
Ich wurde nicht in diesem Deutschland geboren. Worte sind wichtig.
Wenn ich schreibe, dass ich in „Deutschland“ geboren wurde, denkt man, ich wurde in dem jetzigen demokratischen Deutschland mit 16 Bundesländern geboren. Ich wurde aber nicht hier geboren.
Ich wurde in der DDR geboren.
Wenn ich die DDR meinen Kindern erkläre, sage ich: das Land mit den Mauern. Ich wurde in dem Land mit den Mauern geboren.
Genauer gesagt: Ich komme aus dem Tal der Ahnungslosen. Wer weiß, wo das ist, kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Ostdeutschland oder der DDR.
Auch so was: Hier muss ich jetzt „ehemalig“ schreiben. Es gibt sie ja nicht mehr, die DDR. Wieso muss ich „ehemalig“ sagen, wenn allen klar ist, dass es die DDR nur bis 1990 gab? Es zeichnet die DDR aus, dass sie 1989/1990 starb.
Das Tal der Ahnungslosen ist in Dresden, genauer gesagt im Dresdner Elbtal. Im Elbtal konnten die Menschen Westfernsehen und Westradio nur schwer oder gar nicht empfangen. Dadurch waren sie schlechter informiert als die Teile der DDR-Bevölkerung, die sich über Westmedien informieren konnten. Ahnungslos, eben.
Wikipedia sagt, dass das Tal der Ahnungslosen ursprünglich nur auf das Dresdner Elbtal bezogen war, später jedoch für andere schlecht informierte Gegenden benutzt wurde wie im Raum Greifswald.
Der Begriff „ARD“ wurde satirisch als „Außer Raum Dresden“ oder „Außer Rügen und Dresden“ interpretiert . Super interessant für mich: Ich wurde im Tal der Ahnungslosen geboren, bin um die Welt gereist bis Frankreich, Kanada, Costa Rica und wohne jetzt im anderen ehemaligen Tal der Ahnungslosen, im Raum Rügen.
Ich komme aus dem Tal der Ahnungslosen, genauer gesagt komme ich aus einer kleinen Stadt, in dem ein Mann gewohnt hat, der dachte es sei eine gute Idee, Bücher über indigene Völker („Indianer“) zu schreiben, ohne sie je gesehen zu haben. Na, welcher Autor war das? Auch das können Menschen mit DDR-Hintergrund meistens beantworten. Karl May. Welcher Ort? Radebeul.
2. Meine DDR: Mein Opi
Wo ich herkomme, das ist die DDR. „Meine“ DDR, das ist auch mein Opa, der wirklich an die Vision der DDR geglaubt hat, die Vision eines sozialistisch-kommunistisches Staates. Er hat sein Leben verwendet, um als Naturwissenschaftler zu forschen; wenn ich mich richtig erinnere, im Bereich Chemie. Er hat an der Legierung des künstlichen Hüftgelenkes gearbeitet. Wenn ich mich richtig erinnere, war er auch Institutsleiter. Er war drin in der DDR. Er hat wirklich an die Religion DDR geglaubt und mitgemischt.
Kurz vor Fall der Mauer hat mein Opa die BRD besucht, gesehen, dass der Westen weiter war in der Forschung und gefühlt, dass sein Lebenswerk umsonst gewesen war. Er ist gestorben vor dem Fall der Mauer 1989. Meine Familie sagt: Zum Glück.
Bei meiner Recherche zum Thema Fall der Mauer hatte ich den Eindruck, dass viele Menschen der ersten und zweiten Generation Ost um den Fall der Mauer gestorben sind. Auch mein Onkel, der Sohn meines Opis, hat den Dreh nicht geschafft und ist nach der „Wende“ (noch so ein Wort) an den Folgen von Alkoholismus in einem Obdachlosenwohnheim gestorben.
Ich komme auch aus der DDR, in der mein Vater mit meinem Opa gestritten hat. Er wollte mehr allgemeine, finanzielle und berufliche Freiheit. Er schrieb Briefe an die Regierung und ließ seinem Frust freien Lauf. To make a long story short: Wir wurden von der Stasi beschattet und durch ein Missverständnis durften wir „Ausreisen“, aka Auswandern. Aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.
3. Ausreise klingt wie Urlaub
Als ich 6 Jahre, fast 7 Jahre alt war, fing die Welt um mich herum sich wie ein Karussell zu drehen an: Innerhalb kürzester Zeit starb mein Opa und wir verließen unsere Heimat für immer.
Wir durften „ausreisen“.
Wie ich das Wort „Ausreise“ hasse. Ich hasse wirklich wenig, aber dieses Wort hasse ich. Es verharmlost, was passiert ist.
„Ausreise“ klingt wie eine lustige Fahrt in ein anderes Land, zu Vergnügungszwecken, mit der Möglichkeit jeder Zeit zurück zu kommen. Als wir „ausgereist“ sind, war meinen Eltern nicht klar, dass die Mauer fallen würde und noch weniger war die „Wiedervereinigung“ klar, die erst ein Jahr später passieren würde. Als wir aus der DDR „ausreisten“, dachten meine Eltern, dass sie nie wieder kommen würden.
Ein passenderes Wort wäre: Auswandern. Wieso sagt keiner „auswandern“? Nur weil in der DDR deutsch gesprochen wurde und in der BRD auch, wieso ist es deswegen nur eine „Reise“? Es war trotzdem ein unterschiedliches politisches System mit sehr unterschiedlichen sozialen Codes und Verhaltensnormen.
Ich merke, alle Details unserer Auswanderung aus der DDR in die BRD zu erzählen, würde diesen Text sprengen. Das ist eine Geschichte über meine Geschichte für einen anderen Tag.
4. Wieso ich jetzt wieder im Osten bin und trotzdem nicht in dem Land, in dem ich geboren wurde
Meine Schulzeit habe ich im Westen verbracht, in Hessen und Rheinland Pfalz. Isch kann noch ein bisschen hessisch babbele. Fast meine gesamte Studienzeit habe ich in Ostdeutschland verbracht, in Leipzig.
Seit 2023 wohne ich wieder in Ostdeutschland, nach Berlin, Reisen und Costa Rica. Diesmal hat mich das Universum an die Ostsee gewürfelt.
Es fühlt sich nicht so an, als ob ich in meinem Herkunftsland wohne. Das Land, in dem ich geboren wurde, gibt es nicht mehr. Mein Herkunftsland war durch ein bestimmtes staatliches System gekennzeichnet , bestimmte Werte, eine starke Trennung in öffentliches und privates Leben.
Wahrscheinlich war in meinem persönlichen Fall der Bruch noch stärker mit der plötzlichen Auswanderung aus der BRD in die DDR und dem zeitgleichen Tod meines Großvaters. Meine DDR ist auch mit meinem Opi gestorben.
Irgendwie bleibt eine Wehmut übrig, ein Puzzle aus dem großen Bild meiner Verlorenheit. Meine Heimat, die gibt es nicht mehr.
Das ist traurig, gleichzeitig hat dieser Umstand mir auch verholfen, weit in die Welt hinaus zu gehen, mein drittes Kind auf der anderen Seite der Welt zu gebären.
Wie verrückt das ist: Meine Mutter wurde in einem Land mit Mauern geboren, hat den großen Teil ihrer jungen Jahre dort verbracht. Ihre Tochter gebärt eines der Enkelkinder in Zentralamerika, in Costa Rica. Manchmal begreife ich meine Geschichte selbst nicht. Ich habe mal ein T-Shirt gesehen mit der Aufschrift: „I am my ancestors wildest dream.“ Ich bin der wildeste Traum meiner Vorfahren.
5. Es gab nicht die eine DDR
Heimat ist zum einen die Zeit, die ich 1989 hinter mir gelassen habe, mit meinem Opa, der Natur bei Dresden und meiner Lebenswirklichkeit der DDR.
Auch das habe ich in der Auseinandersetzung mit der DDR herausgefunden: Alle erinnern sich anders an die DDR, je nachdem ob Akademiker*Innen erinnern, Arbeiter*Innen, Berliner*Innen oder Dresdner*Innen, Ingenieure oder Musiker*Innen, kleine Familien oder große Familien. Alle erinnern sich an eine andere DDR. Deswegen hat es die eine DDR nicht gegeben, sondern tausende.
6. Ich heimate
Heimat ist meine DDR vor 1989. Oder vielleicht könnte ich auch sagen: Heimat war für mich bis 1989 ein Ort, verbunden mit meiner Familie, vor Allem meinem Opi.
Heimat ist seit der Auswanderung aus der DDR ein Tu-Wort, ein Verb geworden. Ähnlich wie der Fuchs im „Kleinen Prinzen“ von Saint-Exupéry, der erklärt, dass „zähmen“ bedeutet, immer wieder Zeit mit einem Menschen zu verbringen, eine Vertrautheit herzustellen. Ähnlich beheimate ich nun Gegenden, Menschen.
Ich bin nicht heimatlos, ich heimate. Heimat nicht als Ort, Heimat als Verb: Ich beheimate.
Heimat ist oft da, wo meine Kinder sind, wo mein Bett steht, wo ich Hilfe bekomme und wo ich in Resonanz gehe und verstanden werde. Heimat ist auch, wo ich mich nicht verstellen muss und überwiegend angenommen werde, so wie ich bin.
7. Die DDR in mir
Die DDR hat es gefühlt nie gegeben. Gleichzeitig lebt sie in mir weiter fort.
Sie lebt fort in der Geschichte meines Opas, der sich mit seinem Idealismus verrannt hat in der Realität der DDR, der aber auch hohe Ideale hatte und damit eigentlich sehr weit gekommen ist in seiner Forschung im Osten- auch wenn er das leider nicht mehr sehen konnte, als er sich mit der Forschung im Westen befasste.
Ich würde ihm so gerne sagen können: Weißt du Opi, vielleicht hast du einen anderen Bereich komplett übersehen, in dem ihr weiter wart im Osten als im Westen, vielleicht in der Arbeitsorganisation oder in der Ausgestaltung euer Institutskultur. Vielleicht hast du etwas übersehen, was ihr entdeckt habt, was es im Westen nicht gab.
Das ist mittlerweile auch die DDR in mir: Das Aufwachsen in einem System, die Auswanderung in das andere System, der plötzliche Wechsel der Werte und sozialen Verhaltensweisen hat bei mir dazu geführt, kulturell sehr aufmerksam zu sein und verschiedene Perspektiven einnehmen zu können und zu wollen.
Nach der Auswanderung haben in meinen vielen neuen Schulen Kinder mit Migrationshintergrund mit mir gespielt, nicht die westdeutschen Kinder. Dadurch habe ich eine weitere Perspektive mitbekommen auf Deutschland. In der Grundschulzeit war ich eher zu Hause bei meiner deutsch-portugiesischen Freundin und ihrer portugiesisch sprechenden Mutter als bei einer westdeutschen Mitschülerin und ihrer westdeutschen Mutter (es gab eine Ausnahme, danke Anka!).
8. Sächsisch, rohes Zuckerei und kritisches Denken
Ich habe meine Heimat nicht komplett verloren. Sie lebt in mir. Die DDR lebt in mir auch weiter in Form von Dialekten. Ich spreche immer noch sächsisch und etwas thüringisch, wenn auch nicht mehr fließend. Aber der weiche, liebevolle Singsang meiner Ahnen ist noch da und wenn Jemand weiche Konsonanten in die Sprache einbettet, ist da sofort ein Zuhausegefühl da mit Erinnerungen an leckere Klöße, Rotkohl, Braten mit Soße, Sommer in Freibädern und ein warmes Gefühl im Bauch.
Das rohe Zuckerei. Wer kennt es? Ich bin damit aufgewachsen als Kind, dass ich rohes Ei mit Zucker geschlagen essen durfte. Meistens merke ich beim Erzählen dieser Geschichte, dass eher Kinder im Osten Zuckerei gegessen haben und die im Westen etwas angeekelt drein schauen.
Auch die DDR in mir: Weihnachten, ein DDR-Weihnachten, das bei uns in der Familie nicht religiös war, sondern vor Allem: das Musikalbum „Weihnachten in Familie“ von Frank Schöbel und Aurora Lacasa. Sogar meine Kinder sind mit der Musik von „Weihnachten in Familie“ groß geworden. Mein DDR-Weihnachten, das sind auch Räucherkerzen, Nussknacker und Weihnachtspyramiden aus dem Erzgebirge.
9. Unbändiger Freiheitsdrang
Was auch übrig geblieben ist überraschenderweise: Ich stelle Kapitalismus in Frage. Ich bekomme ein warmes Gefühl im Bauch, wenn jemand die Worte „solidarisches Handeln“ sagt.
Ich mag das Erinnerungsnarrativ nicht: Der arme Osten war eingesperrt, der Westen hat ihn befreit, ab 1990 löste sich Alles in Wohlgefallen auf und mit Hilfe der Wessis ritten die Ossis glücklich in den leuchtenden Sonnenaufgang.
Wenn ich von Geldzwang eingesperrt bin, bin ich genauso unfrei. In der DDR konnten viele Menschen nicht reisen. Nach dem Fall der Mauer konnten viele Ostdeutsche immer nicht weiter reisen, weil sie kein Geld dafür hatten. Puh, ich merke, das würde einen weiteren Text verdienen, so kurz wie ich jetzt hier drauf eingehe, kann es nur klischeehaft klingen.
Sagen wir mal so: Eine Folge der DDR in mir ist auch, dass mir Freiheit sehr wichtig ist.
Durch die DDR-Erfahrungen meiner Eltern und auch durch das Aufwachsen mit Eltern mit DDR-Hintergrund im Westen Deutschlands, ist ein unbändiger Freiheitsdrang in mir geblieben, in mehreren Lebensbereichen.
Wie das ist so, das macht man so, das hat man schon immer so gemacht? Wieso? Ich bin bekannt unter meinen Freundinnen und Freunden, hinter jeden Satz ein „Warum?“ zu setzen.
Auch die DDR in mir: Ich sage immer noch dreiviertel 8, obowhl ich lange im Westen gewohnt habe und weiß, dass die westliche Übersetzung viertel vor 8 ist. Aber ich kann auch 07:45h sagen.
Übrigens finde ich Menschen sexy, die die Uhrzeit in der Ost- und Westvariante sagen können und auf dem Schirm haben, dass es verschiedene Varianten gibt. Schnurr.
10. Ich komme aus (mindestens) drei Ländern
Ich komme aus einem Land, das es nicht mehr gibt. Gleichzeitig komme ich aber auch es mehreren Ländern.
Ich komme aus der DDR vor 1989.
Ich komme aus dem neuen Deutschland ab 1990.
Ich komme auch aus Europa. In meiner Zeit in Costa Rica habe ich gemerkt, dass ich viele deutsch-nordeuropäischen Seiten habe.
Und ich komme aus dem Land, aus der Heimat, die ich mir mit meiner Familie aus vertrauten Menschen immer wieder neu aufbaue, wie eine Kommune, egal ob wir in Leipzig sind, Berlin, Portugal, Costa Rica oder an der Ostsee.
Vielleicht ist das die eigentliche Freiheit: kein Land zu haben, das mich definiert – also kann ich mich und können wir uns als Familie selbst definieren und auch unsere Heimat selbst erschaffen.
11. Ich puzzle
Meine Identität ist ein Puzzle. Außer ostdeutsch zu sein, habe ich unglaublich viele andere Teile, die meine Identität ausmachen, bspw. ist Mutter sein zur Zeit ein sehr großer Teil meiner Identität mit drei Töchtern im Alter von 8 Jahren bis 14 Jahren. Ich identifiziere mich außerdem als Künstlerin.
Am Ende meines Studiums habe ich mich mit dem Teil meiner Identität auseinander gesetzt, der ostdeutsch ist. Ich hatte das Glück an meiner Kunsthochschule an einen Mitarbeiter zu geraten, der die Themen Fall der Mauer und Erinnerungskulturen an die DDR als Semesterprojekt gemacht hatte. Danke an dieser Stelle an Carsten Möller, künstlerischer Mitarbeiter für Medienkunst an der HGB Leipzig für diese interessante Zeit, sowie die dazugehörige Seminargruppe.
Ich bin tief in das Thema „Wie erinnern wir uns an die DDR“ und den Fall der Mauer eingestiegen und habe Dinge anders und komplexer über die DDR verstanden, die ich vorher einseitiger gesehen hatte. Das war unglaublich wichtig für mich, für meine künstlerische Arbeit und mein Selbstverständnis des ostdeutschen Puzzle-Stückes meiner Identität.
Ich habe festgestellt, dass es eine kleine Bewegung gibt, die meiner Generation die Bezeichnung gibt „Dritte Generation Ost„. So werden die Menschen bezeichnet, die beim Fall der Mauer Kinder oder Jugendliche waren und die Umbrucherfahrung als Teil ihres Erwachsenwerdens erlebt haben (ca. 1975–1985 Geborene). Ich bin 1982 geboren, war ein DDR-Krippenkind und habe meine gesamte Kindergartenzeit in der DDR verbracht. Das hat Spuren hinterlassen, auch wenn ich erst 7 Jahre alt war beim Fall der Mauer.
12. Ich bin ostsee-isch
Ich wohne am Wasser, seit 2022 an Meeren, seit 2023 an der Ostsee.
Während ich bis jetzt in der Mitte Deutschlands gewohnt habe und von der Perspektive her aus dem Zentrum auf das Zentrum geschaut habe, wohne ich nun am Rand Deutschlands. Wenn ich aus Versehen nach Berlin, Leipzig oder Frankfurt fahre, denke ich: Wow, wohnst du mittlerweile weit im Norden! Und: Oh meine Göttin, ist es hier rappelzappelvoll mit Menschen! Dann vermisse ich die weite Natur mit den wenigen Menschen und merke ein neues Heimatsgefühl in mir aufsteigen. Das macht mich glücklich: Ja, auch mit 40 Jahren kann ich noch neue Heimaten finden.
Ich frage mich, ob sich meine Perspektive von hier oben aus ändern wird, mit dem Blick vom Rand Deutschlands, aus dem am dünnsten besiedelten Bundesland Deutschlands, Mecklenburg-Vorpommern. Hier ist Dänemark näher als Bayern, nicht nur geografisch.
Vielleicht bin ich Meeresbürgerin:
Kopf vom Ostseewind klar gepustet, Gedanken und Horizont weit, immer die Sehnsucht nach der Ferne im Herzen und doch kehre ich immer zurück dorthin, wo das Licht auf dem Wasser tanzt und das Meeresrauschen die Seele beruhigt.
Im Herzen Meerjungfrau: Das Leben an Land wird sowieso überbewertet.