Auf der Suche nach einer Heimat

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Solange bin ich schon auf der Suche nach einem zu Hause.

Meine Heimat, das war, bis ich 6 Jahre alt war: Radebeul, in der Nähe von Dresden, in der DDR, in dem Land mit den Mauern im Osten Deutschlands.

Es war bei meinem Opi, dem Vater meines Vaters. Es war in den Zeiten, in denen ich frei war, zu malen, langsam zu sein, verträumt zu sein, in der Natur zu sein, den Vögeln zu zu hören. Ich war zu Hause als ich die Idee einer Zukunft ignorieren konnte. Ich war zu Hause in bedingungsloser Geduld. Ich war auch zu Hause in einem sächsischen Dialekt. Ich war zu Hause in mir.

Als ich 6 Jahre alt war habe ich meine Heimat verloren. Meine Eltern sind mit mir aus der DDR ausgewandert. Kurz vorher ist mein geliebter Opi gestorben. Es sind nur noch Erinnerungsfragmente von ihm übrig.

Jedes Mal, wenn ich an diese Erinnerungsfragmente denke, kommen die Tränen. Heimat hat bei mir auch mit Trauer zu tun. Trauer, diese Heimat und meinem Opa verloren zu haben. Er starb viel zu früh, mit 59 Jahren, kurz vor dem Fall der Mauer.

Seitdem suche ich mein Zu Hause. Ich suchte es im Westen, in Hessen, in Rheinland Pfalz, in Leipzig, in Costa Rica, in Boyfriends, in der Kunst, an tausend Orten.

Als ich merkte, die anderen Kinder machen sich über mich lustig, habe ich meinen sächsischen Dialekt abgelegt. An meinem Hochdeutsch erkennt man nicht mehr, woher ich komme. Ich kann immer noch Fetzen Sächsisch und Hessisch sprechen, ein bisschen Berlinerisch ist auch dazu gekommen.

Von meinem zu Hause sind nur übrig geblieben: Erinnerungen und eine große Sehnsucht. Als wir irgendwann von Deutschlands Westen immer wieder in den Osten zurück fuhren, konnte ich mich dort nicht heimisch fühlen. Wie auch? Mein Opi war tot. Ich hatte mich verändert und fühlte mich anders.

Mein Vater, der mit mir aus dem Osten in den Westen gegangen war, sagte zu mir verächtlich: „Du bist schon ein richtiger Wessi geworden.“ Als ich wieder im Osten wohnte, sagte ein Freund aus meiner Schulzeit über mich: „Das ist meine Freundin aus dem Osten.“

Nirgendwo ganz zu Hause, nirgendwo ganz passend.

Im Ausland war ich dann oft eindeutig „Die Deutsche“. Von Außen hätte man annehmen können, Deutschland sei mein Zu Hause. Seitdem ich mein Zu Hause auch am anderen Ende der Welt gesucht habe, in Costa Rica in Zentralamerika, merke ich, ein Stück weit stimmt das.

Meine Heimat ist in deutschen Zügen. Ich stelle super viel in Frage. Ich bin sehr direkt. Ich bin eher philosophisch bis kritisch. Ich spreche viele Sprachen. Ich bin zwar ein Hippie, aber auch recht zuverlässig. Im Ausland macht mich das typisch deutsch und auch typisch europäisch.

Aber wenn ich in Deutschland bin, finde ich mein Zu Hause nicht mehr. Dann erschrickt mich die unfreundliche Menschlichkeit und ich sehne mich nach Freundlichkeit und Solidarität. Solidarität, dieses angestaubte, Old School Wort, was meint: Du und ich, wir sind eine Gemeinschaft. Du bist genauso wichtig wie ich und wir helfen uns gegenseitig.

Vielleicht habe ich das noch aus der DDR mitbekommen, auch wenn ich nur 6 Jahre von ihr sozialisiert wurde. In Costa Rica habe ich das oft in Kleinigkeit wieder erlebt und es hat mich an ein altes Gefühl erinnert. Wir stehen auf für Kinder, Frauen, ältere Menschen. Wenn wir in den Bus einsteigen, bilden wir eine ordentliche, geduldige Schlange und drängeln nicht. Wir helfen uns, weil auf den Staat eh kein Verlass ist.

Da ist auch noch ein Gefühl von: Das Land aus dem ich komme, das gibt es nicht mehr. In Berlin gab es mal das Graffiti: „Die DDR hat´s nie gegeben.“

Gedankensprung: Ein Zu Hause, was ich gefunden habe, ist das Meer. Ich fühle mich Zu Hause in der Wärme und dem Blau der Karibik in Costa Rica. Und ich fühle mich zu Hause im frischen Wind der Ostsee. Manchmal, wenn ich aus dem Wasser rauskomme, sage ich scherzhaft: Das Leben an Land wird überbewertet. Ich bin eine Meerjungfrau. Ich habe das unglaubliche Glück und Privileg seit 2022 am Meer wohnen zu können, zuerst an der Karibik, dann an der Ostsee. Ich fühle mich zu Hause auf und im Wasser.

Im Herzen bin ich eine Meerjungfrau: Zu Hause im Wasser.

Ich habe früh angefangen, mein Zu Hause in meinen Liebesbeziehungen zu suchen. Als ob ich mein Zu Hause nicht selbst schaffen konnte.

Der liebevoll-geduldige erste Freund, in dessen Auto ich mich als Jugendliche wohl gefühlt habe. Erst im Nachhinein fällt mir auf: Wir lernten uns zwar in Rheinland-Pfalz kennen, aber er kam, wie ich, aus dem Osten.

Der us-amerikanische Straßenkomiker, in dessen alternativer Wohnung ich neue Musik und neue Welten kennen gelernt habe mit Anfang 20.

Mein 20 Jahre älterer Partner als Studentin, der mir 7 Jahre lang nicht nur ein emotionale, sondern auch eine künstlerische Heimat war.

Ich suche mein Zu Hause immer noch.

Ich weiß jetzt zu 100%, dass meine Familie mein zu Hause ist. Wir haben so viele Erfahrungen gemeinsam gesammelt, dass wir eine Reisefamilie geworden sind, die wie Komplizen sich Abends zuflüstern: Weißt du noch als..? Und da ist ein Bedürfnis, meine Familie zu vergrößern, mein Zu Hause von Menschen. Ich bin gespannt, wo mich diese Sehnsucht noch hinführen wird.

Ich schreibe diesen Text am Tag der deutschen Einheit. Am 3.10. feiern wir Deutschlands „Wiedervereinigung“. Wir feiern, dass der ehemalige Osten und der ehemalige Westen Deutschlands 1990 wieder ein Land wurden. Kritisch gesagt: 1990 wurde der Anschluss der DDR an die BRD vollendet. Aber dazu ein anderes Mal mehr. Heute geht es um mein Zu Hause.

In der DDR habe ich gewohnt: 7 Jahre. In der DDR habe ich meine Grippen- und Kitazeit verbracht.

In der ehemaligen BRD, im Westen Deutschlands habe ich meine gesamte Schulzeit verbracht, Grundschule und Gymnasium, plus den Anfang meiner Studienzeit. Ca 14 Jahre Westdeutschland insgesamt.

2003 bis 2016 habe ich in Leipzig gewohnt. Oh mein Gott, war das eine geile Zeit. Als ich nach Leipzig kam, gab es noch Leerstand und Freiräume. Heute ist Leipzig eines der Städte mit einer großen alternativen Szene, mit vielen Wagenplätzen. Als ich ging, kamen aber auch immer mehr Investoren und meine Sehnsucht lockte mich weg von Leipzig. 13 Jahre im (ehemaligen?) Osten.

Zwischendurch Ausland. Dann 3 Jahre Berlin. Berlin fällt mir schwer, in dieses Ost-West-Raster einzusortieren. Berlin ist sein eigenes Land. Obwohl es in Berlin Pankow, dem ehemaligen Berlin Ost, sehr leise und grau war. Witzig: Hier an der Ostsee habe ich mal eine Frau gebeten, einzuschätzen, woher ich komme. Ihre Antwort: Berlin. Irgendetwas an mir erinnerte sie an Berlin. Ich habe mein Zu Hause in Berlin nicht gefunden.

Seit 2 Jahren wohne ich wieder im Osten, diesmal noch tiefer im Osten und im Norden, an der Ostsee. Wenn ich die Berlinzeit raus rechne und die jetzige Ostzeit nicht mitrechne, sind das:

7 Jahre DDR.

14 Jahre Westdeutschland.

15 Jahre Ostdeutschland. Tendenz steigend, weil ich wieder im Osten wohne.

Hilft mir jetzt auch nicht weiter, herauszufinden, wo mein Zu Hause ist. Vielleicht noch diesen Impuls: Die zwanghafte Idee einer ewigen Heimat haben Sesshafte erfunden, um nomadische und migrantische Menschen zu nerven. Ich bin in meinem Leben bist jetzt 26mal umgezogen.

Vielleicht interessiert mich mehr: Wo fühle ich mich heute sicher? Das kann ein Ort sein, dass kann ein Mensch sein, das kann sein: Bei mir in einem regulierten zentralen Nervensystem.

Ich erinnere mich an meine Yogalehrerausbildung in Leipzig. Da haben wir jeden Montag meditiert. Ich habe es geliebt, die Augen zu öffnen und den gemütlich beleuchteten Raum anzuschauen, die Konzentration, die Stille, den Frieden, die Gemeinschaft. Das war auch ein Zu Hause.

Von EVA BEA

🪩 Diplom-Künstlerin (HGB Leipzig), Autorin & Herausgeberin von EVABEA.COM 🦄 Freigeist mit ADHS & Dreifach-Mama 📸 Texte, Fotos, Gestaltung – und auf dem Weg zu meinem ersten Buch.